220: Asperger-Symptomatik

Das Asperger-Syndrom ist durch eine ausgeprägte Kontakt- und Kommunikationsstörung gekennzeichnet und weist über diese Grundstörung hinaus einige markante Züge auf, die es vom frühkindlichen Autismus unterscheiden: Zum einen sind die Sprachentwicklung und die intellektuelle Entwicklung nicht verzögert. Zum anderen zeigen viele Menschen mit Asperger-Syndrom -- vielleicht gerade aufgrund ihrer höheren Intelligenz (im Vergleich zu jenen mit anderen autistischen Störungen), die sie nicht adäquat einsetzen können -- hochspezialisierte und ausgeprägte Sonderinteressen, die sie monoman verfolgen und die sie in ihrer Umgebung als extreme Sonderlinge erscheinen lassen, zum Beispiel Auswendiglernen von Fahrplänen, der Schmelzpunkte aller Metalle oder der Paragraphen des Grundgesetzes.

Asperger; Autismus; Asperger-Symptomatik;

{Remschmidt:Asperger} 'Helmut Remschmidt and Inge Kamp-Becker' (2007) : Das Asperger-Syndrom -- eine Autismus-Spektrum-Störung

221: Epidemiologie des Asperger-Syndroms

Die Prävalenz beträgt 2–3,3 Kinder auf 10 000 Kinder im Schulalter. Das Verhältnis der Geschlechter liegt bei (männlich : weiblich) etwa 8 : 1.

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222: Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion

Die betreffenden Kinder und Jugendlichen sind sowohl in ihrem nicht-verbalen Verhalten (deutlich reduzierte Gestik, Mimik, Gebärden, Blickkontakt) auffällig, als auch durch ihre Unfähigkeit, zwanglose Beziehungen zu Gleichaltrigen oder Älteren herzustellen. Dies liegt jedoch nicht zwingend am Wunsch der Betroffenen nach sozialem Rückzug, sondern vielmehr an ihrer Unfähigkeit, die ungeschriebenen Regeln des sozialen Miteinanders zu verstehen und sich dementsprechend zu verhalten. Es besteht eine deutliche Unfähigkeit, die Gefühle anderer zu erfassen und emotional mitzuschwingen. Diese Schwierigkeit wird häufig auch als „Störung der Empathie“ oder auch als mangelnde „theory of mind“ bezeichnet. Sie lassen sich auch als extreme Selbstbezogenheit beschreiben, wobei die beim frühkindlichen Autismus meist damit einhergehende extreme Abkapselung von der Umwelt beim Asperger-Syndrom deutlich weniger im Vordergrund steht. Menschen mit Asperger-Syndrom nehmen vielfältig, aber unangemessen mit der Umwelt Kontakt auf. Sie sprechen gerne und viel mit anderen Menschen, reden ausführlich und weitschweifig von ihren Interessen, achten aber nicht darauf, ob ihr Verhalten der Situation angemessen ist und wie ihr Gegenüber darauf reagiert.

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223: Auffälligkeiten der Kommunikation

Beim Asperger-Syndrom fehlt die für den frühkindlichen Autismus charakteristische Sprachentwicklungsverzögerung. Andere Sprachauffälligkeiten sind typisch für den frühkindlichen Autismus und kommen beim Asperger- Syndrom selten vor, wie Echolalie (echoartiges Nachsprechen von Worten und Lauten) und Pronomenumkehr, (die Kinder sprechen von sich in der dritten Person und lernen erst sehr spät, die eigene Person mit „ich“ zu bezeichnen). Dagegen sind bei Kindern mit Asperger- Syndrom häufig Auffälligkeiten in der Sprechstimme zu finden. Ihre Stimme wirkt oft monoton, blechern, eintönig und weist eine geringe Modulation auf. Die Diagnose des Asperger-Syndroms nach ICD-10 verlangt, dass einzelne Wörter im zweiten Lebensjahr oder früher gesprochen werden, erste Sätze im dritten Lebensjahr oder früher. Die Intelligenz sollte mindestens im Normbereich liegen oder auch darüber. Allerdings können die Meilensteine der motorischen Entwicklung etwas verspätet erreicht werden. Motorische Ungeschicklichkeit ist ein häufiges, aber für die Diagnose nicht notwendiges Merkmal.

Asperger; Autismus; Asperger-Symptomatik;

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224: Eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster

Kinder mit Asperger-Syndrom zeigen eine Vielzahl von motorischen Stereotypien und ein durch Ungeschicklichkeit, mangelnde Koordination und Situationsangemessenheit gekennzeichnetes Bewegungsmuster, was sie in ihrer Umwelt als linkisch und schwerfällig erscheinen lässt. Ihre Interessen sind häufig auf bestimmte Themen fokussiert und ungewöhnlich. Oft zeigen sie ein wie besessen anmutendes Interesse an Bereichen wie Mathematik, Technik, wissenschaftlichen Teilbereichen oder Teilbereichen der Geschichte oder Geographie. Manchmal sind die Sonderinteressen auch einfach Übertreibungen verbreiteter Interessen, wie zum Beispiel Pokemon, Dinosaurier oder Computer. Sonderinteressen haben jedoch einen erheblich störenden Einfluss auf andere Aktivitäten und beeinträchtigen die Teilnahme am alltäglichen Leben maßgeblich.

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225: Ätiologie

Es wird mittlerweile angenommen, dass bis zu 20 Gene an der Verursachung von Autismus-Spektrum-Störungen beteiligt sind. Für die strukturellen Besonderheiten der Gehirne von Menschen mit Asperger-Syndrom konnten Abweichungen in verschiedenen Hirnregionen nachgewiesen werden (unter anderem Abnormitäten des Großhirns und des limbischen Systems; Abnormitäten im Cerebellum und in der unteren Olive. Zurzeit wird ein Modell unzureichender neuronaler Vernetzung diverser zerebraler Areale von vielen Forschern diskutiert. Damit werden autistische Störungen als Hirnfunktionsstörungen angesehen.

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226: Verlauf und Prognose

Die Kernsymptome des Asperger-Syndroms zeigen eine entwicklungspsychologische Variabilität, bleiben aber bis ins Erwachsenenalter als persistierende und tiefgreifende Symptomatik erhalten. Zwar verbessert sich bei der Mehrzahl der Betroffenen graduell das Kontakt- und Sozialverhalten, wenn man es mit der diesbezüglichen Symptomatik im Kindes- und Jugendalter vergleicht. Auch werden gewisse Routinen im Alltag besser bewältigt, jedoch bleiben die basale Kommunikationsstörung, vielfach auch Stereotypien, die eingeschränkten Interessen und auch die eingeschränkte Fähigkeit zur Kontaktaufnahme mit anderen Menschen erhalten. Der Verlauf ist insgesamt sehr variabel. Zwar ist die Prognose beim Asperger-Syndrom besser als beim frühkindlichen Autismus, dennoch hängt der Verlauf nicht nur von guten kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten ab. Das Auftreten von komorbiden Erkrankungen beeinträchtigt deutlich die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten und die Prognose

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