186: Erkenntnis als Reflektierende Abstraktion

Erkenntnis ist aber mehr als Anhäufung von Tatsachen, und zwar aktive theoretische Verknüpfung und Interpretation dieser Tatsachen. Dem trägt die reflektierende Abstraktion (oder logisch-mathematische Erfahrung) Rechnung. Sie abstrahiert nicht von Objekten, sondern von Operationen des Subjekts und hierbei wiederum besonders von deren Koordination, der Verbindung von Handlungen in Zeitverhältnissen, Mittel-Ziel-Beziehungen, Zuordnungen sowie logischen Klassen und Relationen.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{piaget} 'Ingrid Scharlau' (2007) : Jean Piaget zur Einführung

187: reflektierende Abstraktion als Reflexion und Konstruktion

Piaget bezeichnet die beiden Leistungen der reflektierenden Abstraktion als Reflexion und Konstruktion. Zu reflektieren bedeutet, Abstand von den impliziten, funktionierenden Strukturen zu gewinnen und sich bewusst zu machen, dass und wie eigene Strukturen in Erfahrung und Erkenntnis eingegangen sind. Es heißt allerdings nicht notwendig, dass die Strukturen bewusst verfügbar werden.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{piaget} 'Ingrid Scharlau' (2007) : Jean Piaget zur Einführung

188: Konstruktion

Durch Konstruktion werden neue Strukturen aufgebaut und zu wirksamen Erfahrungs- und Erkenntnisformen. Piaget geht davon aus, dass in diesem Stufenbau höhere die jeweils vorangegangenen Strukturen begründen können, indem sie diese in ein allgemeines Bezugssystem einbinden.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{piaget} 'Ingrid Scharlau' (2007) : Jean Piaget zur Einführung

189: Erfahrung aus Strukturen

Erfahrung ist nicht, wie die Empiristen behaupten, aus isolierten Sinnesempfindungen zusammengesetzt, sondern durch Strukturen, komplexe und zumeist operationale Ganzheiten, gekennzeichnet. Folglich ist eine Form von Abstraktion denkbar, die von den jeweiligen Strukturen abstrahiert, welche die Bedingungen des Erfahrens und Erkennens darstellen, und deren Begriffe bildet. Diese Begriffe werden nun selbst zu konstitutiven Strukturen. Die menschlichen Erfahrungs- und Erkenntnisstrukturen sind, wie sich hier noch einmal deutlich zeigt, nicht ein für alle mal festgelegt. Konstanten bilden lediglich die funktionellen Invarianten wie Assimilation, Akkomodation, Äquilibration und reflektierende Abstraktion.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{piaget} 'Ingrid Scharlau' (2007) : Jean Piaget zur Einführung

190: Genese als rational aufklärbare Vorstufen von Strukturen

Unter Genese sind die rational aufklärbaren Vorstufen von Strukturen zu verstehen, die erklärbaren Vorbedingungen von Erkenntnis, die phylogenetische Evolution und psychogenetische Entwicklung von Begriffen und Strukturen, welche den Gegenstand von Piagets Untersuchungen bilden. Geschichte hingegene umfasst all diejenigen historischen Bedingungen, die sich dieser Erfolgseschichte nicht fügen. Piaget genetisiert die Erkenntnistheorie, aber er wehrt sich dagegen, in ihr eine historische Perspektive einzunehmen.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{piaget} 'Ingrid Scharlau' (2007) : Jean Piaget zur Einführung

191: Motivation der Entwicklung

Piaget hat selbst keine Motivationstheorie entwickelt, aber die genetische Epistemologie hat eine implizite Motivationstheorie: Ungleichgewichte innerhalb oder zwischen Strukturen drängen den Menschen, sie zu beseitigen. Diese Idee, dass Konflikt der Motor von Entwicklung bzw. Lernen aufgrund von kognitiven Konflikten zustande kommt, ist sehr spannend. Große Bedeutung für die Äquilibration von Strukturen hat die Reversibilität der Operationen, auf denen Sie beruhen. Reversibilität -- die Möglichkeit, Transformationen rückgängig zu machen -- tritt [...] mit den konkreten Operationen auf und wird durch die formalen Operationen vollendet.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{piaget} 'Ingrid Scharlau' (2007) : Jean Piaget zur Einführung

193: Strukturen als Systeme von Wechselbeziehungen

Allgemein können Strukturen als Systeme von Wechselbeziehungen unter ihren Elementen sowie zwischen diesen Elementen und dem Ganzen definiert werden. Nach Piaget sind dabei drei Merkmale notwendig: »Eine Struktur besitzt erstens Totalitätsgesetze, die andere sind als die ihrer Elemente und die es sogar ermöglichen, von derartigen Elementen ganz abzusehen. Zweitens sind diese Eigenschaften der Gesamtheit Transformationsgesetze. [...] Drittens beinhaltet jede Struktur eine Selbstregelung im zweifachen Sinn. Ihr Aufbau führt niemals über ihre Grenzen hinaus und benötigt niemals etwas von außerhalb dieser Grenzen.«

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{piaget} 'Ingrid Scharlau' (2007) : Jean Piaget zur Einführung

194: Strukturbegriff

Vorteilhaft am Strukturbegriff ist, das er auf Denken und Welt, Bewusstsein und Materie angewandt werden kann. Erkenntnis und Weltstrukturen sind gleichermaßen real. [...] Auch Welt und Natur sind durch Strukturen gekennzeichnet. Der Strukturbegriff ist so in sich neutral gegenüber der Unterscheidung zwischen Denken und Welt, die als Dualismusproblem die neuzeitliche Philosophie und Wissenschaft plagt.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{piaget} 'Ingrid Scharlau' (2007) : Jean Piaget zur Einführung

195: menschliche Aktivität assimiliert

Jede menschliche Aktivität setzt voraus, dass eine subjektive Struktur zur Anwendung kommt, die einen Gegenstand assimiliert. Da diese besonderen und konkreten Gegenstände niemals vollständig bekannt sind und die Handlungsschemata zudem immer von einem gewissen Allgemeinheitsgrad sind, müssen die Strukturen bei ihrer Anwendung notwendig Anpassungsprozessen unterzogen werden, seien diese auch noch so minimal.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{piaget} 'Ingrid Scharlau' (2007) : Jean Piaget zur Einführung

196: Assimilation

Piaget unterscheidet [...] zwischen reproduzierender, generalisierender und wiedererkennender Assimilation, also zwischen Assimilationen, die ein Handlungsschema wiederholt auf den selben Gegenstand anwenden, solchen, die ihren Anwendungsbereich erweitern, und solchen, deren Gegenstandsbereich sich ausdifferenziert. Die beiden letztgenannten Funktionen sind für eine Theorie des Erkennens von großer Bedeutung, da sie eine Grundlage für den Aufbau von Allgemeinbegriffen bilden.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{piaget} 'Ingrid Scharlau' (2007) : Jean Piaget zur Einführung

203: Tun und Erkennen

Jedes Tun ist Erkennen, und jedes Erkennen ist Tun.

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{Maturana:Baum} 'Humberto Maturana and Francisco Varela' (2009) : Der Baum der Erkenntnis

204: Beobachter

Alles Gesagte ist von jemandem gesagt.

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{Maturana:Baum} 'Humberto Maturana and Francisco Varela' (2009) : Der Baum der Erkenntnis

205: Erkennen

Erkennen ist effektive Handlung, das heißt, operationale Effektivität im Existenzbereich des Lebewesens.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

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206: Unterscheidung

Das Aufzeigen eines Wesens, Objektes, einer Sache oder Einheit ist mit einem Akt der Unterscheidung verbunden, der das Aufgezeigte von einem Hintergrund unterscheidet und damit von diesem trennt. Immer wenn wir auf etwas implizit oder explizit Bezug nehmen, haben wir ein Unterscheidungskriterium festgelegt, das das Kennzeichen dessen, von dem wir gerade sprechen, und seine Eigenschaften als Wesen, Einheit, oder Objekt spezifiziert. Es ist eine ganz alltägliche Situtation und nicht etwa eine besondere Situation, in der wir uns andauernd und notwendigerweise finden.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{Maturana:Baum} 'Humberto Maturana and Francisco Varela' (2009) : Der Baum der Erkenntnis

207: Einheiten

Eine Einheit (Entität, Wesen, Objekt) ist durch einen Akt der Unterscheidung definiert. Anders herum: Immer dann, wenn wir in unseren Beschreibungen auf eine Einheit Bezug nehmen, implizieren wir eine Operation der Unterscheidung, die die Einheit definiert und möglich macht.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

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208: Organisation;Struktur

Unter Organisation sind die Relationen zu verstehen, die zwischen den Bestandteilen von etwas gegeben sein müssen, damit es als Mitglied einer bestimmten Klasse erkannt wird. Unter der Struktur von etwas werden die Bestandteile der und die Relationen verstanden, die in konkreter Weise eine bestimmte Einheit konstitutieren und ihre Organisation verwirklichen.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{Maturana:Baum} 'Humberto Maturana and Francisco Varela' (2009) : Der Baum der Erkenntnis

209: historisches Phänomen

Immer wenn in einem System ein Zustand als Modifikation eines früheren Zustandes auftaucht, haben wir es mit einem historischen Phänomen zu tun.

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

{Maturana:Baum} 'Humberto Maturana and Francisco Varela' (2009) : Der Baum der Erkenntnis

210: struktureller Wandel, Ontogenese

Die Geschichte des strukturellen Wandels eines einzelnen Lebewesens ist seine Ontogenese, In dieser Geschichte beginnt jedes Lebewesen mit einer Anfangsstruktur, welche den Verlauf seiner Interaktionen bedingt und zugleich die Möglichkeit der strukturellen Veränderungen einschränkt, die durch diese Interaktionen in ihm ausgelöst werden.

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{Maturana:Baum} 'Humberto Maturana and Francisco Varela' (2009) : Der Baum der Erkenntnis

227: kybernetischer Sinn

Der Sinn (oder die Bedeutung) der Signale des Sensoriums wird durch das Motorium bestimmt, und der Sinn (oder die Bedeutung) der Signale des Motoriums wird durch das Sensorium bestimmt.

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{Foerster:Erkenntnistheorie} '' () : Kybernetik einer Erkenntnistheorie

228: Naturgesetze

Die Sätze der Physik, die sogenannten ›Naturgesetze‹, können uns von uns geschrieben werden. Die Sätze der Hirnfunktionen oder -- noch allgemeiner -- die Sätze der Biologie müssen so geschrieben sein, daß das Schreiben dieser Sätze von ihnen abgeleitet werden kann, das heißt: sie müssen sich selber schreiben.

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229: Erkenntnis

Ich deute also Erkenntnis oder den Prozeß des Erwerbens von Kenntnis als rekurisves Errechnen.

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230: Satz der undifferenzierten Kodierung:

Die Erregungszustände einer Nervenzelle kodieren nicht die Natur der Erregungsursache. (Kodiert wird nur: ›so und so viel an dieser Stelle meines Körpers‹, aber nicht ›was‹.)

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231: Bild von der Zukunft

Wenn wir uns aber gar kein klares Bild von der Zukunft machen, dann können wir auch nicht wissen, was wir tun sollen, da eines jedenfalls gewiss ist: Wenn wir selbst nicht handeln, wird mit uns gehandelt werden. Wenn wir also lieber Subjekte als Objekte sein wollen, dann muß unsere gegenwärtige Weltsicht, unsere Wahrnehmung also, auf die Zukunft gerichtet sein, nicht auf die Vergangenheit.

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{Foerster:Zukunft} '' () : Zukunft der Wahrnehmung: Wahrnehmung der Zukunft

232: Zukunft erkennen

Wenn wir nicht wahrnehmen können, können wir die Zukunft nicht erkennen. Wir wissen daher nicht, was jetzt zu tun ist.

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233: »Information« und »Erkenntnis«

Die ursprünglichsten und zutiefst persönlichen Prozesse in jedem Menschen, und in der Tat in jedem Organismus, nämlich »Information« und »Erkenntnis«, werden gegenwärtig durchweg als Dinge bzw. Güter aufgefasst, also als Substanzen. Information ist natürlich der Prozeß, durch den wir Erkenntnis gewinnen, und Erkenntnis sind die Prozesse, die vergangene und gegenwärtige Erfahrungen integrieren, um neue Tätigkeiten auszubilden, entweder als Nerventätigkeit, die wir innerlich als Denken und Wollen wahrnehmen können, oder aber als äußerlich wahrnehmbare Sprache und Bewegung.

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234: <i>Information</i> und <i>Träger</i> potentieller Information

Wir müssen Vorträge, Bücher, Diapositive, Filme usw. nicht als Information, sondern als Träger potentieller Information ansehen. Dann wird uns nämlich klar, daß das Halten von Vorträgen, das Schreiben von Büchern, die Vorführung von Diapositiven und Filmen usw. kein Problem löst, sondern ein Problem erzeugt: nämlich zu ermitteln, in welchen Zusammenhängen diese Dinge so wirken, daß sie in den Menschen die sie Wahrnehmen, neue Einsichten, Gedanken und Handlungen erzeugen.

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256: Wissen als Gut

Es ist kein Wunder, daß ein Bildungssystem, welches den Prozeß der Erzeugung neuer Prozesse mit der Verteilung von Gütern genannt ›Wissen‹, verwechselt, in den dafür bestimmten Empfängern große Enttäuschung hervorrufen muß, denn die Güter kommen nie an: es gibt sie nicht!

Piaget; Erkenntnis; Erkenntnistheorie; Epistemologie!genetische; Erkenntnis; Erfahrung;

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