167: Eingehen von Risiken
Es könnte daher scheinen, als wäre das Eingehen von Risiken weniger entmutigend, wenn es tatsächlich möglich wäre, den Traum des akademischen Strategen zu verwirklichen, nämlich Gewinne und Verluste rational zu kalkulieren und das Risiko durchschaubar zu machen. Der moderne Kapitalismus hat gewisse Risiken jedoch auf eine Art organisiert, welche diese Klarheit nicht attraktiver macht. Sie zwingt viele Menschen, beachtliche Risiken einzugehen, obwohl die Spieler wissen, daß ihre Gewinnchancen gering sind.
Sennet; Organisationstheorie; Organisationssoziologie; Flexibilität; Organisationswandel; Verantwortung; Immaterielle Arbeit; Vertrauen;
{sennet:flexible} 'Richard Sennet' (2008) : Der flexible Mensch
263: Vertrauen im weitesten Sinne
Vertrauen im weitesten Sinne eines Zutrauens zu eigenene Erwartungen ist ein elementarer Tatbestand des sozialen Lebens. Der Mensch hat zwar in vielen Situationen die Wahl, ob er in bestimmten Hinsichten Vertrauen schenken will oder nicht. Ohne jegliches Vertrauen aber könnte er morgens sein Bett nicht verlassen. Unbestimmte Angst, lähmendes Entsetzen befielen ihn. Nicht einmal ein bestimmtes Mißtrauen könnte er formulieren und zur Grundlage defensiver Vorkehrungen machen; denn das würde voraussetzen, daß er in anderen Hinsichten vertraut. Alles wäre möglich. Solche eine unvermittelte Konfrontierung mit der äußersten Komplexität der Welt hält kein Mensch aus.
Sennet; Organisationstheorie; Organisationssoziologie; Flexibilität; Organisationswandel; Verantwortung; Immaterielle Arbeit; Vertrauen;
{Luhmann:Vertrauen} 'Niklas Luhmann' (2000) : Vertrauen
264: die Welt als Ganzes
Denn die Welt als Ganzes, der Universalhorizont allen menschlichen Erlebens, ist nur unter dem Gesichtspunkt ihrer äußersten Komplexität ein mögliches Problem. Sie ist kein System, weil sie keine Grenzen hat. Sie ist ohne Umwelt, daher nicht bedrohbar. Selbst radikale Umwandlungen ihrer Engergieform sind nur als Geschehen in der Welt vorstellbar. Einzig in ihrer Relation zum Identischen-in-der-Welt gibt die Welt als solche ein Problem auf, und zwar durch ihre raum-zeitlich sich entfaltende Komplexität, durch die unübersehbare Fülle ihrer Wirklichkeiten und ihrer Möglichkeiten, die eine sichere Einstellung des einzelnen auf die Welt ausschließt. Unfaßbare Komplexität ist die Innenansicht der Welt, der Problemaspekt, den sie Systemen darbietet, die sich in der Welt erhalten wollen.
Sennet; Organisationstheorie; Organisationssoziologie; Flexibilität; Organisationswandel; Verantwortung; Immaterielle Arbeit; Vertrauen;
{Luhmann:Vertrauen} 'Niklas Luhmann' (2000) : Vertrauen
265: Vertrauen in einer allgemeineren Theoriesprache
[...] Vertrauen wird, psychologisch gesehen, aus völlig verschiedenen Gründen erwiesen bzw. verweigert; und vertrauen ist in jedem Falle eine soziale Beziehung, die eigenen Gesetzlichkeiten unterliegt. Vertrauen bildet sich in einem Interaktionsfeld, das sowohl durch psychische als auch durch soziale Systembildungen beeinflußt wird und keiner von ihnen exklusiv zugeordnet werden kann. Deshalb müssen wir in eine allgemeinere Theoriesprache ausweichen, die die Begriffe System, Umwelt, Funktion und Komplexität so abstrakt verwendet, daß sie sowohl psychologisch als auch soziologisch interpretierbar sind.
Sennet; Organisationstheorie; Organisationssoziologie; Flexibilität; Organisationswandel; Verantwortung; Immaterielle Arbeit; Vertrauen;
{Luhmann:Vertrauen} 'Niklas Luhmann' (2000) : Vertrauen
266: Komplexität
Der Begriff Komplexität muß deshalb sehr abstrakt definiert werden. Das kann geschehen im Hinblick auf eine Differenz von System und Umwelt schlechthin und im Hinblick auf das Aktualisierungspotential von Systemen. Er bezeichnet die Zahl der Möglichkeiten, die durch Systembildung ermöglicht werden. Er impliziert, daß Bedingungen (und somit Grenzen) der Möglichkeit angebbar sind, daß also Welt konstituiert ist, und zugleich daß die Welt mehr Möglichkeiten zuläßt, als Wirklichkeit werden können und in diesem Sinne »offen« strukturiert ist. Unter einem Gesichtswinkel läßt sich diese Beziehung von Welt und System als Überforderung sehen und als Bestandsgefährdung problematisieren. Das ist die Betrachtungsweise der funktionalistischen Systemtheorie. In entgegengesetzter Perspektive erscheint dasselbe Verhältnis als Aufbau einer »höheren« Ordnung von geringerer Komplexität durch Systembildung in der Welt und läßt sich als Selektionsleistung problematisieren. Das ist die Betrachtungsweise der kybernetischen Systemtheorie.
Sennet; Organisationstheorie; Organisationssoziologie; Flexibilität; Organisationswandel; Verantwortung; Immaterielle Arbeit; Vertrauen;
{Luhmann:Vertrauen} 'Niklas Luhmann' (2000) : Vertrauen
267: Der Mensch und sein Bewusstsein der Komplexität
Für jede Art realer Systeme in der Welt, und seien es physische oder biologische Einheiten, Steine, Pflanzen oder Tiere, ist die Welt übermäßig komplex: Sie enthält mehr Möglichkeiten als die, auf die das System sich erhaltend reagieren kann. Ein System stellt sich auf eine selektiv »konstituierte« Umwelt ein und zerbricht an etwaigen Diskrepanzen zwischen Umwelt und Welt. Dem Menschen allein wird jedoch die Komplexität der Welt selbst und damit auch die Selektivität seiner Umwelt bewußt und dadurch Bezugsproblem seiner Selbsterhaltung. Er kann Welt, kann bloße Möglichkeiten, kann sein Nichtiwssen thematisch erfassen und sich selbst erkennen als jemanden, der entscheiden muß. Beides, Weltentwurf und eigene Identität, wird ihm zum Bestandteil seiner eigenen Systemstruktur und zur Verhaltensgrundlage dadurch, daß er andere Menschen erlebt, die jeweils aktuell erleben, was für ihn nur Möglichkeit ist, ihm also Welt vermitteln, und die zugleich ihn als Objekt identifizieren, so daß er ihre Sichtweite übernehmen und sich selbst identifizieren kann.
Sennet; Organisationstheorie; Organisationssoziologie; Flexibilität; Organisationswandel; Verantwortung; Immaterielle Arbeit; Vertrauen;
{Luhmann:Vertrauen} 'Niklas Luhmann' (2000) : Vertrauen